oder: wie komme ich von der Recherche zur Familie Metzger in Bruchsal auf Hermann Göring?

Hermann Göring – Reichsmarschall und einer der „Größen“ des „Dritten Reiches – muss man nicht vorstellen. Aber was hat er mit meinen Recherchen zu jüdischen Grabsteinen und zur Familie Metzger aus Schmie bzw. Bruchsal zu tun?

Bei meinen Recherchen zu Fanny Metzger tauchte beim Sohn Willy/Wilhelm als Geburtsort Ziegenhain in Hessen auf, was ziemlich sonderbar war, da es keinen Bezug dorthin gab, weder über Fanny, geb. Berberich noch über ihren Mann Gotthilf Metzger.

Licht kam ins Dunkel als mir Rolf Schmitt aus Bruchsal mitgeteilt hat , dass Frau Schlitz (Verfasserin vom Ortsfamilienbuch Bruchsal) ihm berichtet hatte, dass Wilhelm Metzger von Gotthilf und Fanny 1913 adoptiert worden sei und eigentlich Karl Heinrich Wilhelm hieß. Sein Nachname bei der Geburt 1906 war Schefer.

Meine Nachfrage beim Hessischen Landesarchiv nach einem Wilhelm Schefer hatte Erfolg und auch in den Kirchenbüchern von Ziegenhain wurde ich fündig.

Der Ort von Wilhelms Taufe war – wie der Ort der Geburt – das Haus Nr. 184 in Ziegenhain. Als Eltern wurden Hermann Schefer, Schuhmacher in Frankfurt und seine Ehefrau Elisabeth, geb. Kehr genannt

Der Taufeintrag weist ein paar Besonderheiten auf. Auffällig ist, dass die Taufe erst zwei Jahre später nachgetragen worden war und der Taufeintrag bei der Hausnummer den Zusatz „Festung“ trägt. Gemeint ist damit der Bereich der Festung in Ziegenhain, in dem sich das Zuchthaus befand (auch heute ist dort eine Strafvollzugsanstalt)

Interessant ist der Taufeintrag auch im Blick auf die Patin. Patin ist die Frau des Oberstaatsanwalts von Kassel, Henriette Henriette Wilhelmine Regina Amalia Viebig, geb. Göring. Die Patin ist aber bei der Taufe gar nicht anwesend, sondern wird durch die Hebamme Raubert vertreten.

Es stellen sich Fragen: Was hat es mit dem Haus Nr. 184 der Festung Ziegenhain auf sich?

Wieso ist die Frau des Oberstaatsanwalts Taufpatin?

Wer ist diese Frau Viebig, geb. Göring, die als Taufpatin eingetragen wurde, sich aber durch die Hebamme vertreten ließ?

Henriette Wilhelmine Regina Amalia, geb. Göring, die Ehefrau des Kassler Oberstaatsanwalts ist – so stellt sich heraus – die Tante des späteren Reichsmarschalls Hermann Göring (Hermann Göring ist ein Sohn von Heinrich Göring, dem Bruder von Henriette Wilhelmine Regina Amalia Viebig).

Obwohl Fanny konvertiert und evangelisch verheiratet war, galt sie nach nationalsozialistischer Sicht trotzdem als Jüdin. Taufpatin ihres adoptierten Sohns Willy (alias Karl Heinrich Wilhelm Schefer) war die Tante von Hermann Göring, der in den Nürnberger Prozessen wegen Kriegsverbrechen zum Tod verurteilt wurde.

Übrigens war die Schwägerin von Henriette Viebig, Carla Viebig (bzw. Viebig-Cohn), mit einem jüdischen Mann, dem Verleger Friedrich Theodor Cohn, verheiratet und deren Sohn Ernst Wilhelm Viebig, ein bekannter Komponist, musste als Halbjude aus Deutschland fliehen.

Ernst Viebig, der Neffe von Henriette Viebig, beschreibt in seinen Erinnerungen seine Familie und erwähnt auch seine Tante Henriette:

Meine Mutter ist in der Stadt Trier im Schatten der Porta Nigra geboren als letztes von drei Kindern des Oberregierungsrates Ernst Viebig und der Clara Langner. Von ihren Geschwistern kannte sie nur ihren achtzehn Jahre älteren Bruder Ferdinand, der trotz seines dringenden Wunsches, Kapellmeister zu werden, die Staatsbeamtenkarriere einschlagen musste und schließlich Oberstaatsanwalt der Provinz Hessen wurde. Er war verheiratet mit Henriette Göring, einer Tante des nachmalig unrühmlichst bekannten Reichsmarschalls Hermann Göring, wobei gleich gesagt sein soll, dass diese großartige Frau, die später eine bedeutende Rolle in dem protestantischen Orden der Herrnhuter spielte, niemals irgendwelche Neigung für den Nazismus zeigte. Immerhin zeigt durch sie mein Familienbild die Groteske auf, dass ich auf diese Weise durch Tante Henriette ein Schwippvetter des Reichsjägermeisters wurde: meine Tante, seine Tante! (aus: Viebig, Ernst. Die unvollendete Symphonie meines Lebens).

Nebenbei bemerkt: Oberstaatsanwalt Ferdinand Viebig hatte eine berühmte Schwester: die Anfang des 20. Jahrhunderts sehr bekannte und vielgelesene Bestsellerautorin Clara Viebig.

Die Frage bleibt: in welchem Verhältnis stand die Patin zu dem Täufling? Und welche Adresse verbirgt hinter dem Haus Nr. 184 in der Festung in Ziegenhain?

Vermutlich handelt es sich beim Haus Nr. 184 um ein Gebäude des Ziegenhainer Gefängniskomplexes handeln. Dies könnte erklären, warum die Frau des Oberstaatsanwalts formal die Taufpatenschaft übernommen hat und warum bei Elisabeth Schefer als Wohnort Ziegenhain, bei ihrem Ehemann jedoch Frankfurt angegeben ist und deren Kind schließlich adoptiert wurde.

Die Hochzeit von Hermann Schefer mit Elisabeth, geb. Kehr, 1904 in Frankfurt und die Geburt von Elisabeth Kehr in Homburg vor der Höhe ist durch die jeweiligen Einträge in die Personenstandsregister belegen. Im Adressbuch der Stadt Frankfurt findet sich auch die Wohnanschrift des Schumacher Hermann Schefer. Ein Hinweis auf Ziegenhain ist nicht zu finden.